Rhetorik als Wissenschaft

Moderne Rhetorik – die Basis für Wissenskommunikation

Rhetorik ist eine der sieben freien Künste. Den ersten Strich eines Kunstwerks auf die weiße Leinwand zu bringen, ist zweifelsohne ähnlich anspruchvoll wie ein guter Redeeinstieg. Aber mit “Malen nach Zahlen” wäre kein einziger Picasso, Rembrandt oder Monet entstanden. Herausragende Reden entstehen nicht aus Faustformeln, die sich an einem Nachmittag lernen lassen.

Die mündliche Kommunikation und speziell Vorträge und Präsentationen leben von der Einzigartigkeit und Persönlichkeit der Sprecherinnen und Sprecher. Hier stetzt meines Erachtens eine anspruchsvolle Didaktik der Rhetorik an. Sie benennt die Stärken des Individuums und optimiert sie hinsichtlich einer strukturierten, verständlichen und anschaulichen Rhetorik. Starre Konzepte und Faustformeln können hierzu einen Einstieg bieten, dürfen aber keineswegs zu einer monotonen Gleichförmigkeit führen.

Reden sollen überzeugen oder informieren

Die Rhetorik der Rede unterteilt sich in zwei große Schwerpunkte: Überzeugungsreden (persuasive Reden) und informative Reden. Die persuasive Rede ist sowohl traditionell – sie hat ihre Wurzeln in der Verteidigung vor Gericht – als auch aktuell gefragter. In zigtausenden business presentations täglich geht es mehr um das Überzeugen als um das Informieren.

Im Schatten dieser mit Umsatzzahlen und Produktvorzügen bebilderten Power-Point-Präsentation präsentieren im Bildungssektor und in der Forschung ebenfalls täglich tausende von Lehrenden und Forschenden. Hier geht es aber weniger um das Überzeugen, als vielmehr um das Informieren. Es geht darum sein Wissen so zu kommunizieren, dass das Publikum danach mehr weiß als vorher. Die Inhalte sind oft vielschichtiger und schwieriger, die Ansprüche an eine exakte Darstellung sind höher, und nicht jedes Thema lässt auf anschauliche Diagramme reduzieren.

Wer überzeugen will, muss schlüssig argumentieren und mitreißend appellieren.

Wer informieren will, muss strukturiert und verständlich seine Aussagen auf den Punkt bringen.

Eine große Gemeinsamkeit der beiden rhetorischen Grundausrichtungen lautet allerdings:

Wer redet, möchte auch gehört werden.

 

Rhetorik braucht Sprache und Sprache braucht Rhetorik

Damit sind wir wieder bei Rednerin und Redner angekommen, denn gehört wird, wer etwas Interessantes interessant sagt. Die Wirkung einer informativen Rede hängt meines Erachtens nicht nur von der Argumentation und Struktur der Rede ab, sondern auch maßgeblich auch von der rhetorischen Kompetenz der Redenden und von der Botschaft, die hinter einer Rede steckt.

Das führt zurück in die Geschichte der Rhetorik, die sich in zwei Richtungen entwickelt hat:

1) Vorzugsweise die klassische Rhetoriklehre und die Literaturwissenschaft beschäftigen sich mit der stilistischen (Wohl-)Geformtheit von mündlicher und schriftlicher Sprache besonders in Bezug auf den Gebrauch von Stilmitteln.

2) Die Sprechwissenschaft und andere Disziplinen untersuchen den Redevorgang an sich vor allem in Bezug auf artikulatorische, soziokulturelle und handlungsorientierte (= performative) Aspekte.

Die Sprechwissenschaft ist eine angewandte Wissenschaft, die in der Sprecherziehung ihre didaktische Komponente hat. Diese zumindest begrifflich etwas in die Jahre gekommene Aufteilung steht heute unter einer Vielzahl von wissenschaftlichen und didaktischen Einflüssen und kämpft in meinen Augen seit ihrem Bestehen für eine Eigenständigkeit. Letztlich ist es die Frage nach dem Huhn und dem Ei: Bedient sich die Sprechwissenschaft anderer Wissenschaften oder bedienen sich andere Wissenschaften der Sprechwissenschaft?

Als Wissenschaftler reizt mich an der Rhetorik, gerade nicht in fachinternen Schemata hängenzubleiben, sondern das Wissen anderer Wissenschaften jenseits des Tellerrandes zu ergründen und gegebenenfalls didaktisch zu verwerten. Ob das nun “mündliche Kommunikation”, “Sprechwissenschaft” oder “Sprecherziehung” heißt, ist dabei völlig nebensächlich – im Grunde ist es Rhetorik in einem modernen Verständnis.

Mit dieser “modernen Rhetorik” geht es mir darum, Reden und Vorträge in einer mit dem 21. Jahrhundert kompatiblen Art und Weise zu optimieren, ohne die Traditionen der klassischen Rhetorik aus den Augen zu verlieren. Daher gehört das Zusammenspiel von Visualisierung (bspw. durch Power-Point) und Rede oder der Zusammenhang von Verständlichkeit und der Funktionsweise des Gehirns ebenso zu meinen wissenschaftlichen Interessen wie stilistische und sprachliche Aspekte.

Denn: Kernstück einer jeden Wissenschaft, die sich mit Reden und Präsentieren beschäftigt, ist und bleibt die Sprache. Mir ist es sowohl wissenschaftlich als auch didaktisch ein Anliegen, die indviduelle sprachliche und rhetorische Kompetenz zu fordern und zu fördern.